Text: Jan Beadeker, Classic Driver
Fotografie: Karsten Wehmeier
Da steht man nun, einen kühlen Aperol in der Hand, der Kies knirscht unter den Ledersohlen, die Karosserien funkeln im norditalienischen Licht, Kellner eilen mit Platten voller Club-Sandwiches vorbei, und man fragt sich: Kann das Leben nicht immer so sein? Wäre der Concorso d’Eleganza Villa d’Este einmal im Monat statt nur einmal im Jahr, man würde der Realität wohl vollends entgleiten. Und so wundert es nicht, dass auch die Organisatoren für ihre diesjährige Inszenierung die Grenzen der Fiktion überschritten – und den „großen Gatsby“ aus F. Scott Fitzgeralds gleichnamigem Roman zum Leitmotiv des Wettbewerbs erklärten. Tatsächlich hätte der Long-Island-Millionär Jay Gatsby wunderbar in den ersten Concorso gepasst, der 1929 zum ersten Mal auf dem Anwesen des Grand Hotels Villa d’Este in Cernobbio ausgerufen wurde. Die Privatbank Berenberg, in diesem Jahr erstmals Sponsor des Concorso, hatte zusammen mit dem Veranstalter BMW Group passend zum Thema am Samstag rund 250 Gäste in die benachbarte Villa Erba zum schwungvollen Abend unter dem Motto „Roaring Twenties“ eingeladen. Als Stellvertreter dieser glamourösen Epoche standen in diesem Jahr unter der alten Plantane am See vier schier unglaubliche Zwanzigerjahre-Automobile – ein Hispano-Suiza, ein Duesenberg, ein Rolls-Royce Phantom und ein Packard. Mit welchem Prunk und welcher Freude am Detail damals karossiert wurde, raubt einem bis heute die Worte.
Ab den 1930er Jahren wehte dann ein neuer Wind durch die Karrosseriewerkstätten und Ateliers: Die Gesetze der Aerodynamik waren plötzlich oberstes Gebot, die Stromlinie bestimmte die Silhouette. Am Comer See waren die vom Winde verwehten Klassiker stets ein Höhepunkt der Eleganz – und auch in diesem Jahr enttäuschte das Komitee nicht mit seiner Wahl: Der 1936 von Mario Revelli de Beaumont gezeichnete und bei Pinin Farina karossierte Lancia Astura Type 233 war eines der ersten Luxus-Cabriolets Italiens – und seine sanft geschwungenen Radhäuser sind bis heute ein Gedicht. Auch die Jury war schnell überzeugt und verlieh dem Besitzer Orin Smith aus den USA die Trofeo BMW Group Classic. Etwas seltsam wirkten dagegen die Proportionen des schmalen blauen BMW 328 Stromlinien-Coupés von Wendler mit seinen drei Scheinwerfern und dem steil abfallenden Heck. Doch die Form folgte der Funktion – und bei der ersten Testfahrt im Jahr 1937 erreichte der BMW eine ansehnliche Geschwindigkeit von 174 km/h.
Eine echte Stromlinien-Überraschung gelang derweil dem italienischen Sammler Corrado Lopresto, stets zu erkennen an seiner Sonnenbrille, dem kleinen Hund und der italienischen Großfamilie: Lopresto hatte einen Alfa Romeo 6C 1750 GS aufgetan, der 1931 zunächst von Zagato als Roadster gebaut und 1938 für 4.000 Lire an die Carrozzeria Aprile in Savona verkauft worden war, wo er in einen atemberaubenden Spider verwandelt wurde. Die aufwendige Restaurierung und die zahlreichen Details wussten auch 76 Jahre später noch zu überzeugen – das Publikum des Concorso wählte den Alfa zum „Best of Show“ und sicherte ihm somit verdient die Coppa d’Oro Villa d’Este. Die Liebe der Concorso-Besucher zum Alfa 6C hat übrigens Tradition: Schon 1949 wurde ein Alfa Romeo 6C 2500 Super Sport vom Publikum zum schönsten Automobil des Wettbewerbs gewählt – und trug fortan den Zusatz „Villa d’Este“ im Namen. Überhaupt fanden Italiens Automobilmarken in der Nachkriegszeit überraschend schnell zur Eleganz vergangener Tage zurück.
In den 1950er Jahren entdeckt Europa das individuelle Reisen – die Schönen und Reichen nehmen nicht mehr den Zug, sondern das sportliche Cabriolet, um nach Frankreich oder Italien in die Sommerfrische zu verschwinden. Auch in den USA interessierte man sich wieder für europäische Sportwagen – wie etwa den wunderbaren Lancia Aurelia B24 Spider America von Pinin Farina, Albrecht Graf Goetz’s einzigartigen BMW 507 oder den Mercedes-Benz 300 SL – beim Concorso vertreten durch einen elfenbeinfarbenen Roadster mit rotem Original-Hardtop, mit dem einst Rudolf Caracciola auf Werbetour durch die Staaten brauste. Doch nicht nur gestandene Männer saßen hinterm Steuer der Euro-Flitzer – der Ferrari 250 GT California Spider, den die britische Sammlerin Sarah Allen mit zur Villa d’Este gebracht hatte, wurde 1959 an einen gewissen Harvey Chur ausgeliefert. Zu dessen 18. Geburtstag.
Die 1950er Jahre sind auch das Jahrzehnt der Gentleman Driver – Rennfahrer aus Leidenschaft, ausgestattet mit den nötigen finanziellen Mitteln für den kostspieligen Sport. Doch der Concorso führte einem auch das größte Problem dieser rasenden Privatiers vor Augen: Man muss sich entscheiden! Wie wäre es etwa mit einem wunderbaren 1953er Maserati A6GCS – eines der Punkstücke aus der Sonderklasse zum 100. Geburtstag von Maserati? Oder doch lieber einen Fiat 8V, einen Mercedes 300 SL Aluminium-Flügeltürer, einen Ferrari 250 GT Tour de France? Neben den GT-Sportlern gab es freilich noch die reinrassigen Rennwagen vom Schlag eines Jaguar D-Type oder eines feuerspuckenden Maserati 450 S, den Albert Spiess in diesem Jahr mitgebracht hatte – und der auf der Terrasse für Kiesfontänen sorgte. Der Auftritt saß – die Jury verlieh dem Rennwagen den Titel „Best of Show“. Beim Concorso d’Eleganza Villa d’Este bekommt man traditionell nicht nur die elegantesten und schnellsten, sondern auch die seltensten und seltsamsten Automobile der Geschichte zu sehen. Da war etwa der Ferrari 250 GT SWB mit Aluminium-Karosserie und Rennsport-Campagnolos aus Stahl statt der damals populären Speichenfelgen, den Giorgio Giugiaro mit nur 21 für Bertone entwarf. Inte-ressant war auch der Mercedes-Benz 230 SL, der von Tom Tjaarda für Pininfarina individualisiert, aber leider nie in Serie gefertigt wurde. Zumindest Axel Springer begeisterte sich für den Italo-SL – er steht als einer der letzten Besitzer im Zulassungsbuch.
Der größte Hingucker des Concorso war jedoch der superfuturistische Fiat Abarth 2000 Scorpione von Pininfarina: Das keilförmige Geschoss mit Klapp-Cockpit und freiliegendem Heckmotor von 1969 stammt aus der Sammlung eines japanischen Abarth-Fanatikers, der in Tokyo ein Museum eröffnet hatte, nur um in den Besitz der wahnwitzigen Designstudie zu kommen. Shiro Kosaka hatte jedoch nicht nur den Abarth mit zum Concorso gebracht, sonden auch eine gewaltige Entourage von Beratern und Bewachern, die jeden Schaulustigen, der ihrem „Skorpion“ zu nahe kam, mit wilden Gesten in die Flucht schlugen. Und so endete die Schau recht schlüssig auch dort, wo sie begonnen hatte – mit dem großen Gatsby von Tokyo.
Galerie:
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